BRENN PROJECTS - BOOKLET 2013 ©stephan brenn

BRENN PROJECTS - Fotografie Fassadenprojektion Drahtzeichnung ©stephan brenn
INHALT:
Einführung, Vita, Drahtzeichnung, Fassadenprojektion, YLOP - Fotografie, Veröffentlichungen, Kontakt
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tobias hoffmann - museum für konkrete kunst ingolstadt

Die Schönheit des Banalen

 

Stephan Brenn sammelt, beobachtet, erforscht, macht Kunst. Er ist ein Entdecker und Sichtbarmacher von Dingen, die eigentlich schon für immer verschwunden waren. Seine Fundstücke erzählen Geschichten über den Ort, von dem sie stammen und über eine Gesellschaft, die Wegwerfgesellschaft

genannt wird. Es sind ungewollte, überflüssige und übrig gebliebene Objekte,

die in ihrer ursprünglichen Gestalt deformiert wurden. Sie haben Zufallsformen

angenommen, die per se jedoch auch logischen Gesetzen folgen. Im Nutzungsprozess werden ihre Gebrauchsformen umgeformt, dekonstruiert. Die Deformation löst sie aus ihrem Funktionszusammenhang und macht sie wieder zu Rohmaterialien der Industriegesellschaft. Gleichzeitig visualisieren sie

die Magie ihres Verwandlungsprozesses vom funktionalen Gegenstand zum achtlos weggeworfenen und doch unbewusst gestalteten ästhetischen Objekt.

 

Stephan Brenn öffnet die Augen für die Schönheit des Banalen, indem er minimal eingreift. Er arrangiert, ordnet an, komponiert und

unterstreicht die Charakteristik der Zufallsformen, indem er sie zu einem Dialog untereinander führt. Durch die geometrischen Formen Kreis und Rechteck, zu denen er seine Fundstücke komponiert, gibt Stephan Brenn den Objekten eine neue, rein ästhetische Aura. Die Drahtzeichnungen spiegeln also einen doppelten Formprozess wider. Im ersten Schritt werden die Dinge durch ihre

industrie-kulturelle Verwendung deformiert und der Aura ihrer Nützlichkeit beraubt, dann im künstlerischen Prozess der Auswahl und Kombination behutsam zu einer neuen Form zusammengeführt, sodass sie im Schutz der selbstverständlichen geometrischen Metaform ihren ganz individuellen

ästhetischen Reiz entfalten können.

 

Tobias Hoffmann,

Leiter Museum für Konkrete Kunst,

Ingolstadt

PROLOG X3 - Heft für Zeichnung und Text

karin barth - comme ci comme ca II

Stephan Brenn „Verdichtung“

 

Der Kölner Künstler Stephan Brenn, Jahrgang 1961, arbeitet vorwiegend mit

gefundenen Materialien, die er entweder als objets trouvés einsetzt, zu Collagen fügt oder zu Kleinskulpturen aufbaut. Dabei gibt es nur minimale Eingriffe, verblüffend wirkt häufig die neue Kombination vermeintlich wertloser Abfallstoffe oder defekter Geräte, Elektrobauteile, zweckenthobener Utensilien.

 

Seit Jahren sammelt Stephan Brenn auch Drahtstücke jeglicher Herkunft und Verformung. Hat er sie bislang in sogenannten „Drahtzeichnungen“ zu chiffreartigen Materialkalligrafien an der Wand arrangiert, geht er mittlerweile zu immateriellen Wiedergabemedien über. Diese ornamentalen Bilder werden zum Teil in mehreren Schichten über Overhead-Projektoren zu teils auch bewegten Lichtspielen an die Wand, auf eine Leinwand ins Schaufenster oder

in diesem Fall auf ein Gebäude übertragen.

 

Die Kompositionen bleiben dabei nicht starr, sie werdenregelmäßig neu choreografiert und formen so ständig wechselnde Szenerien. In einer weiteren Stufe werden dann diese Schattenbilder wiederum bewegt, indem der Künstler Projektionsfolien beim Abspulen abfilmt. Diese verschiedenen Endprodukte

sind also über mehrere Stufen gewonnene Destillate, die in ihrer poetischen Kunstform die „armen“ primären Materialien weit hinter sich lassen. So entsteigen den rostigen Zivilisationsresten unirdische, ätherische Gebilde. Die bewegten Zeichen erinnern in ihrer losgelösten kürzelhaften Bildsprache an Zeichnungen von Cy Twombly oder Strukturen von Henri Michaux.

 

 Karin Barth,

comme çi comme ça II, salon d‘art

anke von heyl

Die fabelhafte Welt der Dinge

 

 

Ganz langsam schiebt sich eine riesige Hand ins Blickfeld. Sie hält etwas, das sie ganz vorsichtig ins Zentrum der hell erleuchteten Fassade des Gründerzeitbaus schieben wird. Als die Hand verschwindet, zeichnet sich dort im hellen Schein - deutlich und irreal zugleich - eine überdimensionale Glühbirne ab. Eine schönes Bildzeichen, mit dem der Künstler Stephan Brenn seine Lichtinstallation auch einer kleinen ironischen Anmerkung ausliefert.

Aber das ist es nicht allein. Denn durch die intensive Licht-Schatten-Wirkung wird die Struktur der Glühbirne herausgearbeitet und bietet so ganz neue Möglichkeiten der Wahrnehmung. Man bemerkt die gedrängte Rundung der Fassung mit ihren Einkerbungen. Und die Zartheit der Glühfäden im Zentrum eines Glases, welches seltsam irisierend als solches auf der Hauswand erkennbar ist.

Überhaupt wird die Fassade zu einer Art Bühne und die Häuser, die Stephan Brenn für seine Licht-Installationen aussucht, erhalten ein Gesicht, beginnen eine ganz eigene Wirklichkeit zu entwickeln.  Dabei entfaltet sich eine Ästhetik die abseits jeglicher Jagd nach billigen Effekten liegt, wie sie doch gerne mit Medienfassaden und Lasershows inszeniert wird.

Stephan Brenn arbeitet mit einem handelsüblichen Overhead-Projektor, der allerdings mit einer sehr leistungsstarken Birne die Grundlage seiner Inszenierungen bereitet. Sorgfältig sucht der Künstler nach der optimalen Stelle gegenüber dem Objekt seiner Wahl und positioniert sich mit einem Handwagen voller Fundstücke neben der Lichtquelle. Und dann beginnt es, das ganz besondere Licht-Theater des Stephan Brenn. Er nimmt einen Gegenstand und lässt ihn mal langsam, mal schneller in der Lichtquelle auftauchen – oft überlagern sich die einzelnen Gegenstände. Brenn schiebt sie übereinander, zieht das eine heraus, während er das andere einschiebt. Einer inneren Choreographie folgend entsteht ein ständiger Wechsel von Ornamenten und Formen, die die beleuchtete Architektur akzentuieren und in einen besonderen Ort verwandeln.

Ein besonderer Ort, der Geschichten erzählt. Ob es nun die unbeleuchteten Fenster sind, die durch die Lichtquelle das Hausinnere sichtbar machen – oder beleuchtete Fenster, aus denen ein Bewohner neugierig herausblickt – alles wird zum Teil der Geschichte, die der Künstler mit seinen außergewöhnlichen Materialien erzählt. Das Akkordeon – eine metallene Abdeckung, die einmal das Musikinstrument zierte – liefert florale Ornamente aber auch die Assoziationen von Zigeunermusik und durchtanzten Nächten.

Das scheint überhaupt das Geheimnis der Kunst von Stephan Brenn zu sein – die poetische Ausstrahlung der gefundenen Materialien, die in einem neuen Kontext zu Höhenflügen der Phantasie antreten. Da wird eine alte Bettfeder erkannt, die lustige Spiralen bildet und auf all das Erlebte in den Schlafzimmern hinter der Hausfassade zu verweisen scheint. Am allerschönsten aber sind die Stücke bunten Kunstglases, die Brenn gekonnt in Szene setzt. Hier streift der Künstler seine eigene Biographie, denn er blickt auf eine Ausbildung als Kunstglaser zurück, die ihm natürlich auch die Erkenntnis brachte, wie viel Eigenleben so ein mundgeblasenes farbiges Stück Glas entwickeln kann. Wie anders wirken doch solche Akzente im Gegensatz zu den oft gleichmäßig eingefärbten Plattitüden so mancher Lichtkunstwerke.

Eines seiner gelungensten Projekte ist die Inszenierung des Museum Schnütgen, das in der romanischen Basilika St. Cäcilia untergebracht ist. Da ein Schwerpunkt der Sammlung auf mittelalterlichen Kirchenfenstern liegt, tauchte Brenn die Fassade der Kirche in ein buntes Meer aus Bruchstücken, die sich mit ihrer Kunstglas-Ästhetik inhaltlich wie formal perfekt an den mittelalterlichen Bau anpassten und sogar noch den Innenraum mit ihrer Farbigkeit erreichten. Als Neben- beziehungsweise hier wohl eher V-Effekt bezog Brenn auch die Baumaschinen der Baustelle am Neumarkt in die Inszenierung mit ein. Selten ist ein Kulturort in Köln so facettenreich und intelligent inszeniert worden.

Stephan Brenn bezeichnet sich auch schon einmal als OJ „Overhead-Jockey“ und versteht die Lichtinstallation als Performance. Daneben erarbeitet er mit seiner Lichtkunst aber auch ständige Installationen, die im urbanen Umfeld zur Gestaltung von Platzsituationen sicher eine gelungene Alternative zur normalen Beleuchtung darstellen.

Die Faszination „Licht“ ist schon Jahrtausende alt. Trotz der Zunahme von Lichtmüll vor allem in den großen Städten, schaffen Künstler wie Brenn es, den Betrachter immer noch durch ihre Werke in den  Bann zu ziehen. Wo jedoch andere sich schon mal gerne dem ‚kultischen‘ Charakter der Lichtinszenierungen hingeben und sich einer gewissen manipulativen Wirkung nicht verwehren können, bleibt Stephan Brenn bei den einfachen „handgemachten“ Dingen, die anrührend und bodenständig zugleich wirken. Dennoch haben sie viel zu erzählen und lassen den Betrachter mitsamt dem Gebäude, das angeleuchtet wird, zu Akteuren einer ausgedehnten Phantasiereise werden.

 

Anke von Heyl, Kunsthistorikerin

barbara hess



Down to the Wire

Zu den Drahtarbeiten von Stephan Brenn

 

Auf den ersten Blick scheint sich das Werk von Stephan Brenn derzeit in (mindestens) drei disparate Kategorien zu teilen: die Drahtzeichnungen (ihrerseits eine Werkgruppe, die zwischen dem linear Zweidimensionalen, Zeichnerischen und dem reliefartig Skulpturalen in einer ständigen medialen Unschärfe oszilliert), die Drahtprojektionen (die zudem in Live-Situationen entstehen und damit eine performative Dimension annehmen können, die durch die akustische Interpretation der Klarinettistin Corinna Reiß ins Multimediale erweitert wird), und die Fotografien, in denen der Künstler Alltagsituationen festhält, die eine unterschwellige oder offenkundige Affinität zu seiner übrigen Produktion aufweisen.

Bei diesem Unterlaufen und Umspielen medialer Grenzen scheint eine verbindende Gemeinsamkeit aller Arbeiten in ihrer bewussten Einbeziehung des Zufalls zu liegen. Ihr Ausgangspunkt ist stets ein

Objet trouvé – allerdings aus einer sehr eingeschränkten Gruppe von Objekten: Gegenstände aus Metalldraht, die Brenns Aufmerksamkeit vor allem dann finden, wenn sie ihren Gebrauchswert bereits verloren und den Status einer Ruine angenommen haben. Mit diesen Fundstücken zu zeichnen – sie so zu arrangieren, dass sie eine regelmäßig begrenzte Fläche an einer Wand einnehmen – ist nicht zuletzt das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit verschiedenen künstlerischen Disziplinen. Ausgebildet als Kunstschmied und Kunstglaser, wandte sich Brenn Anfang der 1990er Jahr vorübergehend der Malerei zu, sah in der Sinnlichkeit des Farbmaterials jedoch bald eine mögliche Fallgrube seiner künstlerischen Arbeit. So hat er die malerische Produktion dieser Zeit im Zuge einer selbstkritischen Betrachtung fast vollständig vernichtet und seinen Blick in der Folge auf das im Alltag bereits Vorhandene gerichtet.

Mit den vorgefundenen Ready-mades zu zeichnen ist also auch eine Abkehr von der traditionelleren Auffassung der Zeichnung als privilegiertem Medium des individuellen Ausdrucks; es legt den Gedanken nahe, dass jeder noch so intimen Geste etwas Äußeres, anderswo bereits Geprägtes und nicht allein Individuelles zugrunde liegen könnte.

Dementsprechend sammelt Stephan Brenn nicht nur besonders exotische, expressiv deformierte Einzelstücke, sondern auch umfangreiche Gruppen von Gleichartigem, industrielle Massenware.

In den Drahtprojektionen, die mit Hilfe eines Overhead-Projektors entstehen, werden die Fundobjekte zu Akteuren eines Schattenreichs, die sich auf einer imaginären Bühne bewegen. Von einer meist

unsichtbaren Hand immer wieder neu arrangiert, bilden sie fast zeichentrickartige Sequenzen, erinnern an abstrakte Filme.

Die Drahtprojektionen weisen eine Verwandtschaft mit Experimenten der avantgardistischen Fotografie der 1910er und 1920er Jahre auf, etwa mit Man Rays Schwarzweißfotografie Man (1917/18), die einen an einer Wand hängenden Eierquirl aus Draht und dessen Schlagschatten zeigt und die man aufgrund ihres Titels auch als eine Art Selbstporträt lesen könnte. Dazu merkte der Künstler an, dass „der Schatten genauso wichtig ist wie das wirkliche Objekt“1. Tatsächlich ist der Schatten ein zentrales, vielschichtiges Sujet der Kunst und Kulturgeschichte. Er steht für das erste

Bild, den Ursprung der Kunst: Dem griechischen Historiker Plinius d.Ä. zufolge zog ein Mädchen den Schatten seines Geliebten nach, der sich durch ein Kerzenlicht an der Wand bildete. Darüber hinaus symbolisiert er die Seele – man denke an den Topos des verkauften Schattens – und den Tod; die Toten beherbergt ein „Schattenreich“. Zudem ist er stets vom Verschwinden bedroht; er tritt ab, sobald das Licht ausgeht. Wenn die Drahtprojektionen den Pol der Produktion von Stephan Brenn bilden, der dem Immateriellen und Flüchtigen zuzuordnen ist, so stehen seine dokumentarischen

Fotografien am anderen Ende des Spektrums: Sie verleihen dem Momentanen Dauer und sprechen die Sprache des Faktischen. Ebenso wie die anderen Werkgruppen beschäftigen sie sich mit

dem Ready-made und dem Zufälligen. Sie erfassen – gewissermaßen im Vorbeigehen, bevorzugt im Außenraum – mikrokosmische und makrokosmische Strukturen, in denen das von Brenn nahezu obsessiv beobachtete Material in unterschiedlichen Zuständen und Anordnungen in Erscheinung tritt.

Mit einem Blick, der gelegentlich an die eleganten Kompositionen der Subjektiven Fotografie erinnert, werden Armierungen und Sprungfedern, Drahtkäfige und Vergitterungen ins Bild gesetzt. Stilzitate sind gewollt: Offenkundig amüsiert inszeniert der Fotograf Ähnlichkeiten mit der Kunst

der Moderne; es finden sich Anspielungen an die Ästhetik des Informel (in Pastell), die Skulptur des Nouveau Réalisme (in Rotterdamer Fahrrad) oder an die Fotografie des Konstruktivismus (in Reissdorf).

Die erstaunliche Allgegenwärtigkeit und Vielgestaltigkeit eines vermeintlich unscheinbaren Materials legt am Ende die Vermutung nahe, dass das, was die Welt im Innersten zusammenhält, aus Draht sein könnte. Was die Drahtzeichnungen, Projektionen und Fotografien jedoch „bedeuten“

(„Was ich Poesie nenne, wird oft Inhalt genannt“, meinte Cage einmal) bleibt bis zum Schluss offen – down to the wire.

 

Barbara Hess, Kunsthistorikerin

 

 

1 Zit. nach: Victor I. Stoichita, Eine kurze Geschichte

des Schattens, München 1999, S. 192 und Abb. 85